Archiv für den Monat: März 2020

Stellungnahme der Initiative 19. Februar (Hanau)

(übernommen von facebook-19FebruarHanau / twitter.com/19FebruarHanau / 19feb-hanau.org)

Laut mehreren Medienberichten arbeitet das BKA derzeit an einem Abschlussbericht zu den Ermittlungen in Hanau und kommt darin zu dem vorläufigen Fazit, dass der Täter „kein Anhänger einer rechtsextremistischen Ideologie“ gewesen sei und keine „typische rechtsextreme Radikalisierung“ durchlaufen habe. Dazu erklärt die „Initiative 19. Februar Hanau“, die seit den Morden gemeinsam mit vielen anderen die Unterstützung für Angehörige der Opfer und Betroffene von Rassismus in Hanau organisiert:

Deutschland hat seit Jahrzehnten ein Rassismus-Problem, ein Problem mit rechtem Terror. Dazu gehört auch, Nazis nicht zu erkennen und nicht als solche zu benennen. Es reicht ganz offensichtlich nicht einmal, 9 Menschen aus rassistischen Motiven zu töten, um vom BKA als „Rechtsextremist“ eingestuft zu werden. Das ist unglaublich – und war trotzdem absehbar.

Als Gegenargument gegen eine rechtsextreme Gesinnung zieht das BKA scheinbar die Neigung des Täters zu Verschwörungstheorien, seine psychische Auffälligkeit und die fehlende Anbindung an das klassische rechtsextreme Milieu heran. Aber die rechtsextreme Gesinnung des Täters von Hanau ist unzweifelhaft, sie ist in seiner Tat und seinem „Manifest“ dokumentiert. Das BKA scheint, wie auch andere Behörden, schlicht falsche Kategorien anzuwenden. Verschwörungstheorien, irrationaler Hass, Frauenfeindlichkeit und auch „psychische Auffäligkeit“ kennzeichnen das Milieu, in dem die AfD und andere neue Faschisten ihre Massenbasis haben. Es ist die gleiche Logik, die beim NSU dazu führte, von einem Trio zu sprechen.

Es ist kein Wunder, dass solche Taten nicht verhindert werden, wenn die zuständigen Behörden selbst jetzt nicht verstehen wollen, dass sie ihre Kriterien überprüfen und der Gegenwart anpassen müssen. Die organisierten Glatzköpfe mit Springerstiefeln sind die Faschisten von gestern. Man muss heute keinen Kontakt mehr zu ihnen haben, um rechtsextrem sein zu können. Und es ist kein Widerspruch, psychisch krank und trotzdem ein Nazi zu sein.

Nach den vielen warmen Worten von Politikern und dem großen Medienrummel nach dem Anschlag ist Hanau bei vielen schnell in Vergessenheit geraten. Jetzt, wo die Kameras weg sind, soll scheinbar wieder der ganz normale Umgang von Polizei, Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz stattfinden: Vertuschen und Verharmlosen. Wir bekommen vom BKA die ersten Häppchen für die Einzeltäter-These vorgelegt. Jetzt müssen wir alle wachsam sein und die offenkundig rassistische, rechtsextreme Tat weiter als das benennen, was sie war: Rechter Terror, der offensichtlich – wie auch beim NSU – zu den Akten gelegt werden soll.
Das werden wir nicht zulassen.

Filmtipp: Die Legende vom Einzeltäter – Rechter Terror in Europa

Zum Film: bei ARTE (bis zum 1. April 2020) oder archive

Ob NSU-Terror, der Mord an Walter Lübcke oder der Anschlag in Hanau: Die Taten richten sich gegen Menschen, die von Rechtsextremen zu Feinden erklärt werden: Migranten, Juden, Muslime, Linke, Journalisten und Politiker. Deutlich wird, dass das Narrativ vom Einzeltäter auserzählt ist: Viele Mörder handeln zwar allein, aber in ihrer Weltanschauung sind sie das längst nicht mehr.

Getötet hat der Mörder den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, getroffen hat er ins Herz der Gesellschaft. Die Tat hat Deutschland erschüttert: Zum ersten Mal nach dem Ende des Nazi-Regimes wurde ein Politiker Opfer rechter Gewalt. Schon jetzt zeigen Recherchen – der
Hauptverdächtige Stephan E. und sein mutmaßlicher Komplize Markus H. waren fest mit der rechtsextremen Szene verbunden. Der Prozess beginnt demnächst.
Dieser Mord ist nur einer in der Kette brutaler Gewalttaten. Sie richten sich gegen Menschen, die von Rechtsextremen zu Feinden erklärt werden:
Migranten, Juden, Muslime, Linke, Journalisten und mit Lübcke auch ein bürgerlich konservativer Politiker. Die Dokumentation folgt den Spuren rechtsextremer Angriffe im Herzen Europas.
Im französischen Bayonne greift ein Mann, dessen rassistische Gesinnung bekannt war, im Herbst 2019 eine Moschee an. Vor dem Gebäude verletzt er zwei Muslime durch Schüsse schwer. Vier Jahre zuvor kandidierte der Angreifer noch für den Front National. Auch der Mord an der britischen Labour-Abgeordneten und Brexit-Gegnerin Jo Cox geht auf das Konto eines rechtsextremen Einzeltäters. Cox‘ Schwester berichtet von einer Atmosphäre der Spaltung und Hetze, in der sich der Täter damals bestätigt fühlen konnte.
Ermutigt fühlen sich all diese Gewalttäter von den neuen Rechten, die unverhohlen ihre Theorien von der Bedrohung der „weißen Rasse“ verbreiten. Die rechtsextremen Morde und Anschläge der vergangenen Jahre mögen juristisch die Taten Einzelner sein. Einzeltäter im Geiste waren diese nicht.

Regie : Steinhagen, Martín
Bremer, Ulrike
Oeser, Adrian

Land : Deutschland
Jahr : 2020

Gedenken – 8. Todestag von Burak Bektaş am 5. April 2020

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir können unser Gedenken an Burak am 5.April 2020 nicht so durchführen wie wir es gern tun würden, wir haben den Umständen entsprechend (Corona-Krise) umgeplant:

Wir laden herzlich ein an Buraks 8. Todestag individuell zu Gedenken und am Gedenkort Burak Bektaş (Rudower Strasse/Möwenweg in Berlin) Blumen niederzulegen. Der Todestag von Burak Bektaş ist nicht verschiebbar!

Den Gedenkort werden unsere Transparente, unsere Schilder und Blumen schmücken. Wir möchten unser Gedenken mit Audio- und Videobotschaften virtuell gestalten.
Schaut bitte auf unseren Blog und unsere Facebook Seite.

Hier findet ihr unsere Schilder mit kritischen Fragen oder unseren Forderungen als PDF-Dateien. Ihr könnt die Schilder gern ausdrucken und zum Gedenkort bringen oder in der Stadt verbreiten…

solidarische Grüße
„Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“

5. April – Aufruf zur Demonstration zum 8. Jahrestag der Ermordung von Burak Bektaş

Aufklärung und Gedenken

Aufruf zur Demonstration zum 8. Jahrestag der Ermordung von Burak Bektaş

Sonntag 5. April 2020 // 14 Uhr Demonstration // Treffpunkt: U-Bahn Britz Süd // Ziel: Gedenkort Burak Bektaş (Rudower Str./Möwenweg) // Berlin-Neukölln

Im April 2012 wurde Burak Bektaş vor dem Krankenhaus Neukölln auf offener Straße von einem Unbekannten erschossen. Seine Freunde Alex und Jamal wurden lebensgefährlich verletzt. Vor 8 Jahren. Burak wäre heute 30 Jahre alt. Der Täter ist weiß. Die Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt. Die Tat als Bekenntnis?
Ein rassistisches Motiv muss mitgedacht werden. Nicht erst seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011. Die Polizei hatte im Kontext des NSU rechtsextreme Hintergründe ausgeschlossen. Sie stellte keine Verbindung zwischen den Morden her. Stattdessen wurden die Opfer und Hinterbliebenen von Polizei und Gesellschaft kriminalisiert. Familien der Opfer des NSU hingegen organisierten Schweigemärsche mit der Forderung „Kein 10. Opfer“.

Im September 2015 wurde Luke Holland in Neukölln erschossen. Dreieinhalb Jahre nach Buraks Tod. Die Wohnung des Mörders war voller Nazi-Devotionalien. Der Mörder ist ein Nazi. Sein Name stand vorher in den Ermittlungsakten zur Ermordung von Burak. Ermittelt gegen ihn wurde aber nicht. Wäre nach Buraks Tod konsequent ermittelt worden, könnte Luke heute möglicherweise noch leben. Der Mörder wurde verurteilt. Aber seine Tat gilt bis heute offiziell nicht als rechter/rassistischer Mord.
Neukölln ist Schauplatz einer Serie rechter und rassistischer Gewalttaten. Schon seit spätestens 2010: Brandanschläge, Mordversuche, Beschädigungen von Gedenkstellen, so genannte Feindeslisten. Betroffene werden nicht geschützt und nicht ernst genommen. Die Taten nicht aufgeklärt. Die rechten und rassistischen Angriffe gehen weiter.
Während in diesen Wochen der neun Todesopfer des rechten und rassistischen Terrors in Hanau gedacht wird, schreibt eine Zeitung von „Shisha-Morden“, in Hessen werden Shisha-Bars im Stadtzentrum verboten und in Neukölln mit Razzien überzogen. Menschen werden bedroht, angegriffen, ermordet.
Wir rufen auf, rechte und rassistische Gewalt als solche zu benennen. Von rechtem und rassistischem Terror bedrohte Menschen zu schützen. Für ein friedliches Miteinander einzustehen. Taten von Nazis nicht zu vertuschen. Ihre Gewalttaten aufzuklären. Wir fordern angemessenes Gedenken und Entschädigungen für Opfer und Hinterbliebene. Wir fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um eine konsequente Aufklärung der Ermordung von Burak Bektaş zu erreichen. Wir klagen rechte und rassistische Strukturen in der Gesellschaft an!

Bei der Demonstration zum 8. Jahrestag der Ermordung von Burak werden Betroffene und Hinterbliebene rechter und rassistischer Gewalt sprechen. Sie kommen aus Berlin und anderen Städten. Wie jedes Jahr seit der Ermordung von Burak wollen wir im Kreis von Familie, Freunden, Freundinnen, Bekannten, anderen Betroffenen und solidarischen Menschen gemeinsam Burak gedenken. Gemeinsam wollen wir deutlich machen: Wir fordern noch immer Aufklärung!

2. April 2020 – „Der 2. Anschlag“ – Filmvorführung und Diskussion

Do. 02.04.2020 // 19.00 Uhr // Aquarium (Südblock), Skalitzerstr. 6, 10999 Berlin

„DER ZWEITE ANSCHLAG“
Rassistische Gewalt in Deutschland. Eine Anklage der Betroffenen.

Mit der Regisseurin Mala Reinhardt und Protagonist*innen.

Filmvorführung im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum 8.Jahrestag der Ermordung von Burak Bektaş am 5.April 2012 der „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“.

„DER ZWEITE ANSCHLAG“ (Deutschland, 2018, Länge: 62 min) dokumentiert die bisher kaum beachtete Perspektive der Betroffenen rechter Gewalt und stellt sie in den Mittelpunkt. In tiefgehenden Interviews entwickelt der Film ein präzises Bild der teils traumatischen Erlebnisse, welche die Protagonist*innen des Films durchlebt haben. Osman Taşköprü erzählt von dem Mord an seinem Bruder Süleyman, den der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) 2001 in Hamburg beging. Er erlebte die Stigmatisierung und die Attacken aus Politik und Medien als zweiten Anschlag auf seine Familie. Ibrahim Arslan schildert seine Erinnerungen an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992, den er selbst nur knapp überlebte und Mai Phương Kollath wohnte selbst in Rostock-Lichtenhagen, als dort unter dem Beifall hunderter Schaulustiger das Sonnenblumenhaus von Neonazis in Brand gesteckt wurde. Doch es bleibt nicht dabei. Angesichts von anhaltenden rassistischen Ausschreitungen, der unzureichenden Aufklärung des NSU-Komplexes und dem Einzug der AfD in die politische Landschaft der BRD haben Mai Phương, Ibrahim und Osman eine Entscheidung getroffen: Sie werden nicht länger schweigen. Dabei verweben sich ihre Geschichten. Und während sie für eine lückenlose Aufklärung und ein Ende der Gewalt eintreten, entsteht ein Netzwerk aus Menschen, die ähnliches erlebt haben. So erhebt auch Gülistan Ayaz-Avcı, deren Partner Ramazan bereits in den 1980ern von Nazis ermordet wurde, ihre Stimme. Ihr Fall zeigt, dass rassistische motivierte Gewalt in Deutschland nicht erst mit der Wiedervereinigung beginnt. Auch Özge Pınar Sarp berichtet von aktuellen Entwicklungen und eröffnet im Film eine migrantische Perspektive auf antifaschistisches Engagement in Deutschland. Als sie vor wenigen Jahren nach Deutschland kam und selbst politisch aktiv wurde, bekam auch sie tief verankerten alltäglichen Rassismus zu spüren.
DER ZWEITE ANSCHLAG führt diese Geschichten in einer vielschichtigen Erzählweise zusammen und eröffnet einen detaillierten Einblick in den Kampf migrantischer Communities gegen Rassismus in Deutschland.“

DER ZWEITE ANSCHLAG
Rassistische Gewalt in Deutschland. Eine Anklage der Betroffenen
Dokumentarfilm von Mala Reinhardt, Kate Blamire, Katharina Degen, Patrick Lohse
Deutschland, 2018
Länge: 62 min
Originaltitel: Der zweite Anschlag Land: Deutschland Jahr: 2018 Sprache: deutsch, türkisch Untertitel: englische Laufzeit: 62 min. Format: DCP Farbe: Colour Regie: Mala Reinhardt Produktion: Kate Blamire, Benjamin Cölle, Katharina Degen, Patrick Lohse, Mala Reinhardt Kamera: Patrick Lohse, Katharina Degen Schnitt: Federico Neri Musik: Macarena Solervicens Ton: Kate Blamire, Gerald Mandl Website: derzweiteanschlag.de

Interview mit Mala Rheinhardt

7. März – 20:15 „ZDFinfo-Doku über den Fall Burak Bektas“

(übernommen vom ZDF)

„Über die Bedrohung durch den Rechtsterrorismus in Deutschland wird nach dem Anschlag in Hanau viel diskutiert – und auch darüber, ob diese Bedrohung in bestimmten Fällen übersehen wurde. Ob ein bald acht Jahre zurückliegender Mordfall in Berlin-Neukölln auf einem rechtsextremen Motiv beruhte – dieser Frage geht am Samstag, 7. März 2020, 20.15 Uhr, die neue ZDFinfo-Doku „Rechter Terror in Neukölln? – Der Fall Burak Bektas“ nach. Der Film von Carla Röthig ist ab Freitag, 6. März 2020, 21.00 Uhr, in der ZDFmediathek verfügbar.

Am 5. April 2012 fielen kurz nach Mitternacht Schüsse in Berlin-Neukölln. Der türkischstämmige 22-jährige Burak Bektas starb – der Mord konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Der Verdacht steht seitdem im Raum, dass Burak Bektas Opfer eines rechtsextremen Verbrechens geworden ist. Handelte es sich um die Tat eines NSU-Nachahmers? Stammte der Täter, von dem jede Spur fehlt, aus der rechtsextremen Szene? Haben die Behörden ein rechtsextremes Tatmotiv ignoriert? Was ist in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 geschehen?

Die ZDFinfo-Dokumentation rekonstruiert den Fall und nimmt die Zuschauer mit an die Schauplätze der Tat. Autorin und Regisseurin Carla Röthig ist es unter anderem gelungen, vor der Kamera mit den Freunden von Burak Bektas zu sprechen, die in der Tatnacht mit ihm unterwegs waren und teilweise selbst lebensgefährlich verletzt wurden. Welche Erinnerungen haben sie an die Tatnacht? Die Autorin hat zudem mit der Familie und mit deren Anwalt Mehmet Daimagüler gesprochen, einem der Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess. Einblick in die Ermittlungsarbeit zum Mord an Burak Bektas geben Alexander Huebner, Kriminalhauptkommissar beim LKA Berlin und von Beginn an mit den Ermittlungen im Fall Bektas betraut, sowie der Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner.“

Wir sind gepannt – Burak-Ini