Archiv für den Monat: Juli 2025

Grußbotschaft zum 9. Jahrestag des rechten, rassistischen Anschlags in München OEZ am 22. Juli 2016

Liebe Eltern, Familien und Angehörige,
wir stehen heute gemeinsam mit vielen anderen solidarischen Menschen am Oranienplatz in Berlin, um mit euch eure geliebten Menschen zu gedenken und euch in eurer Trauer solidarisch zur Seite zu stehen.
Wir erinnern an
Armela Segashi – sie war 14 Jahre alt; ihre Schwester erzählt, dass Armela frischen Wind in die Familie gebracht hat, ein friedliches Gemüt hatte und Menschen um sich herum für sich gewinnen konnte. Armela wollte Make Up Artistin werden. Sie wird unendlich vermisst.
Can Leyla – er war 14 Jahre alt; seine Eltern und Bruder erzählen, dass er seine Zuneigung offen ausdrückte, seine Umgebung zum Lachen bringen konnte und leidenschaftlich Fußball spielte. Can wollte Fußballspieler werden. Er wird unendlich vermisst.
Dijamant Zabërgja – er war 20 Jahre alt; sein Bruder erzählt, dass Dijamant ein warmer Mensch war, aufrichtig, hilfsbereit und mit viel Energie. Dijamant war Fachlagerist und wollte eine Familie gründen. Er wird unendlich vermisst.
Guiliano Kollmann – er war 19 Jahre alt; seine Großmutter erzählt, dass Guiliano ausgeglichen war, ein Familienmensch und gerne mit Freunden Hip-Hop gemacht hat. Guiliano hatte einen Ausbildungsplatz zum Offset-Drucker. Er wird unendlich vermisst.
Hüseyin Dayıcık – er war 17 Jahre alt; seine Familie erzählt, dass Hüseyin selbstbewusst, offen, witzig war und eng verbunden mit seinen beiden Drillings-Geschwistern. Hüseyin war in Ausbildung bei Hagebau und wollte Kickboxer werden. Er wird unendlich vermisst.
Roberto Rafael – er war 15 Jahre alt; seine Familie möchte still an Roberto erinnern. Er wird unendlich vermisst.
Sabine S. – sie war 14 Jahre alt; ihre Familie möchte still an Sabine erinnern. Sie wird unendlich vermisst.
Selçuk Kılıç – er war 15 Jahre alt; seine Eltern erzählen, dass Selçuk beliebt und offen war und gerne mit Erwachsenen zusammen gesessen und diskutiert hat. Selçuk wollte bei BMW arbeiten. Er wird unendlich vermisst.
Sevda Dağ – sie war 45 Jahre alt; ihre beiden Söhne und ihr Mann erzählen, dass Sevda bescheiden, humorvoll war und positives Licht um sich und für alle verbreitete. Sevda war eine Inspiration für ihre Familie und arbeitete im Dienstleistungssektor. Sie wird unendlich vermisst.

9 Menschen sind heute vor 9 Jahren bei dem rechtsterroristischen Anschlag in München am OEZ ermordet worden. Sie wurden aus ihrem Leben gerissen, aus eurem Leben gerissen.

Wir wollen heute gemeinsam mit euch, trauern, mit euch gedenken.

Euer Kampf um Erinnern, Gedanken und Aufklären ist auch unser Kampf. Melek Bektaş fordert auf der ersten Pressekonferenz des Solidaritäts-Netzwerks (11. März 2024): „Wer Gedenken will, soll aufklären“. Melek ist die Mutter von Burak, der am 5. April 2012 auf offener Straße in Berlin Neukölln ermordet wurde. Die Tathergang ähnelt den Taten des NSU und ist bis heute nicht aufgeklärt.

Phil Holland richtet anlässlich der letzten öffentlichen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses folgende Worte an die Abgeordneten: „Ich fühle mit Wut im Herzen, dass, wenn die Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş so durchgeführt worden wären, wie sie hätten durchgeführt werden sollen, ohne Vorurteile oder rassistische Voreingenommenheit, dass mein Sohn Luke und folglich auch meine Frau Rita, heute noch am Leben wären.“ Phil ist der Vater von Luke Holland, der am 20. September 2015 in Berlin Neukölln ermordet wurde.

Rechter Terror trifft uns alle!
Erinnerung ist Widerstand – Widerstand gegen Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt. Widerstand für eine offene und solidarische Gesellschaft.

Stellungnahme von Melek Bektaş zum Ende der öffentlichen Anhörungen des PUA Neukölln-Komplex

An den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Mein Sohn Burak ist auf einer ganz offenen Straße erschossen worden. Es war nicht im Wald, nicht in einer Sackgasse, nicht in irgendeinem versteckten Winkel wo nie jemand lang geht. Wie kann man da den Mörder nicht finden? Wie denn? Ich kann das nicht verarbeiten.

Ich war fix und fertig die ersten Tage. Aber niemals hab ich gedacht, dass der Täter nicht gefunden wird.
Warum wurde zu Rolf Zielezinski nicht richtig ermittelt? Es wurde gesagt er hat nichts mit dem Mord an Burak zu tun. Wie kann man da so sicher sein? Er passt zu der Beschreibung der Zeugen, das Alter passt auch. Wie kann die Staatsanwaltschaft dann einfach behaupten, dass er nichts damit zu tun hat? Es kommt mir so vor, als ob sie dann schon wissen wer der Täter ist.

Meine Botschaft an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss:

Macht mehr Druck!
Nichts soll unter den Teppich gekehrt werden.
Keine Akten sollen zugemacht werden.

Ich habe den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss an einem Tag besucht. Die Sitzung hat mich sehr wütend gemacht. So oft „ich kann mich nicht erinnern.“!

Wir müssen die ganze Zeit kämpfen und Forderungen an die Ermittlungsbehörden stellen. Das ist eigentlich gar nicht meine Aufgabe. Wo ist hier die Demokratie? Wenn Sie sagen wir leben in einem demokratischen Land, sollen Sie auch für Gerechtigkeit sorgen.

Ich will wissen wer der Mörder meines Sohnes ist. Das ist mein Recht. Er soll bestraft werden. Der Mord muss aufgeklärt werden!

Stellungnahme von Philip Holland zum Ende der öffentlichen Anhörungen des PUA Neukölln-Komplex

To the Committee.

Luke loved life. He accomplished a great deal in his short life, he became a lawyer, he spoke Japanese, a little German, which enabled him to help start a business in Berlin, and strived to improve his life and help improve the lives of others.

He had friends of various nationalities and religions, more than 200 of whom attended his funeral. He told me how safe and diverse Berlin was, but ironically he was murdered by a person who disliked foreigners being in his country.

I do not know what the aim or outcome is intended for this enquiry but hope it is to recommend and pursue, that investigations by the police and prosecutors, into racist and neo nazi crimes, are undertaken more vigorously without prejudice and that they understand that if not, there will be consequences.

The judge in my sons case, felt that, even though a blood alcohol test was not taken, the murderer was under the influence of alcohol, that Luke did not suffer and that the Nazi memorabilia, guns etc, found in his apartment, did not prove he was a Neo Nazi, hence deducted years from his final term time in prison.

When my wife confronted the murderer at the end of the trial, and asked why he killed our son, his one word answer was Engish.

I Feel, with anger in my heart, that if the investigation in Burak Bektas murder had been investigated as it should have been, without prejudice or racist bias, my son Luke, and consequently my wife Rita would still be alive today.

Thank you

*****Deutsch*****

An den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Luke liebte das Leben. Er hat in seinem kurzen Leben viel erreicht, er wurde Anwalt, er sprach Japanisch, ein wenig Deutsch, was es ihm ermöglichte, die Gründung eines Unternehmens in Berlin zu unterstützen, und er bemühte sich, sein Leben zu verbessern und dabei zu helfen, das Leben anderer zu verbessern.

Er hatte Freund*innen verschiedener Nationalitäten und Religionen, von denen mehr als 200 an seiner Beerdigung teilnahmen.

Er erzählte mir, wie sicher und vielfältig Berlin war, aber ironischerweise wurde er von einer Person ermordet, die es nicht mochte, dass Ausländer in ihrem Land waren.

Ich weiß nicht, was das Ziel oder angestrebte Ergebnis dieser Untersuchung ist, aber ich hoffe, dass sie dazu dient, die Polizei und die Staatsanwaltschaft dazu zu bringen, rassistische und neonazistische Straftaten energischer und vorurteilsfrei zu untersuchen, und dass sie verstehen, dass andernfalls Konsequenzen zu erwarten sind.

Der Richter im Fall meines Sohnes war der Meinung, dass der Mörder unter Alkoholeinfluss stand, obwohl kein Blutalkoholtest durchgeführt wurde, dass Luke nicht gelitten hätte und dass die Nazi-Devotionalien, Waffen etc., die in seiner Wohnung gefunden worden waren, nicht bewiesen, dass er ein Neo-Nazi war, und zog daher in seinem Urteil Jahre von der Haftstrafe des Täters ab.

Als meine Frau den Mörder am Ende des Prozesses zur Rede stellte und fragte, warum er unseren Sohn getötet hat, war seine Antwort mit einem Wort: „Englisch“.

Ich fühle mit Wut im Herzen, dass, wenn die Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş so durchgeführt worden wären, wie sie hätten durchgeführt werden sollen, ohne Vorurteile oder rassistische Voreingenommenheit, dass mein Sohn Luke und folglich auch meine Frau Rita, heute noch am Leben wären.

Vielen Dank

Redebeitrag am 4. Juli bei unserer Kundgebung zur letzten öffentlichen Sitzung

In 49 Sitzungen wurden Betroffene, Angehörige, Expert:innen und viele Polizist:innen, Staatsanwät:innen, höhere Entscheidungsträger:innen bis hin zu ehemaligen Innensenatoren und der unvermeidliche Verfassungsschutz zu den erfolglosen Ermittlungen befragt. Wir sind entsetzt über die Unkenntnis der Polizei zu Rassismus und seinen Auswirkungen. Wir sind abgestoßen von der menschlichen Kälte der Staatsanwaltschaft und Polizei, die von Ermittlungsökonomie spricht, wenn die Angehörigen von Burak Bektaş und Luke Holland dabei sind und wir sind erschüttert von Aussagen des Verfassungsschutzes, der behauptet „manchmal wissen wir mehr als die Antifa“.

Eine effektive Bekämpfung von Neonazi-Netzwerken scheint mit diesem Apparat nicht möglich zu sein, der nach eigener Aussage nach dem Bekanntwerden des NSU nichts an seiner Praxis geändert hat.

Das Beharren des Apparates scheint sehr groß zu sein, genauso wie die Ignoranz und das Wegschauen bei rechter/rassistischer Gewalt und Bedrohung. Trotzdem werden alle Polizeibeamt:innen, Staatsanwält:innen und VS’l:innen bis hin zu den Innensenatoren nicht vergessen, das sie öffentlich Rede und Antwort geben mußten. Ein weitere PUA/parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist möglich. Die sog. Ermittlungspannen, also der Unwillen gegen rechte/rassistische Netzwerke zu ermitteln, wollen und können wir nicht hinnehmen.

Gleichzeitig hat die rot-schwarze Landesregierung eine Erweiterung der Polizeibefugnisse beschlossen.

Wir denken, das ist die völlig falsche Richtung.

Die Ermittlungsbehörden brauchen mehr öffentliche und demokratische Kontrolle, nicht mehr Macht. Der Polizeiapparat muss reduziert werden, damit er kontrollierbar wird. Der Verfassungsschutz kann weg. Er hat nicht beigetragen zur Verhinderung von Straftaten und auch nicht zur Aufklärung.

Gegen eine Polizei, die Rassismus nicht buchstabieren kann, gegen eine Staatsanwaltschaft, die aus dem NSU nichts gelernt hat, gegen einen Verfassungsschutz der nur Mauert. Für eine öffentliche und demokratische Kontrolle der Ermittlungsbehörden.