Bilanz
Wir als Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş haben heute zu dieser Pressekonferenz eingeladen, um eine Bilanz der letzten fünf Jahre zu ziehen, die seit dem Mordanschlag auf Burak Bektaş und seine Freunde vergangen sind. Diese Bilanz sieht folgendermaßen aus:
Fünf Jahre nach Buraks Tod gibt es immer noch keine Gewissheit für die Angehörigen. Der Mord ist nicht aufgeklärt.
In Neukölln sowie anderen Teilen Berlins herrscht angesichts der unaufgeklärten Gewalttat weiterhin Verunsicherung, insbesondere unter Jugendlichen, die von Rassismus betroffen sind.
Es gab keine ausreichenden Ermittlungen in Richtung eines möglichen rassistischen Tatmotivs – oder diese Ermittlungen wurden nicht ausreichend in den Akten dokumentiert
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat keine Ermittlungsergebnisse vorzuweisen.
Forderungen
Vor diesem Hintergrund sind wir heute auch hier, um Forderungen zu stellen. Nach fünf Jahren Ungewissheit und nicht zuletzt auch mit Blick auf die Erkenntnisse über den NSU-Komplex fordern wir, dass die Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş komplett neu aufgerollt werden. Die Frage, ob der Mordanschlag auf Burak und seine Freunde eine NSU-Nachahmertat oder ein anderweitig rassistisch motivierter Mord war, stellt sich heute noch genauso wie vor fünf Jahren.
Grundsätzlich fordern wir Transparenz seitens der Behörden gegenüber den Angehörigen und der Öffentlichkeit. Dabei geht es zum einen um die Frage: Was wurde bisher getan, um hinsichtlich eines möglichen rassistischen Tatmotivs zu ermitteln und was nicht? Welchen Hinweisen wurde in welcher Form nachgegangen? Wie und nach welchen Kriterien wurde bisher ermittelt? Was meinen die zuständigen Ermittler, wenn sie sagen, sie hätten „in alle Richtungen geprüft“? Wichtig ist vor allen Dingen aber auch: Wie sieht es aktuell aus? Werden aktuell überhaupt noch Ermittlungen durchgeführt? Gibt es Ansätze, um doch noch zu Ermittlungsergebnissen zu kommen? Das sind Fragen, auf die wir gerne Antworten hätten.
Jenseits von der Forderung nach Transparenz über die bisherigen Ermittlungen wiederholen wir die Forderung nach gezielten Ermittlungen in Richtung eines möglichen rassistischen Tatmotivs. Das bedeutet, dass Hinweisen und Ermittlungsansätzen, die auf eine rassistische Täterschaft deuten, konsequenter nachgegangen werden muss als es bisher der Fall war. Gegebenenfalls müssen auch bereits eingestellte Ermittlungen wieder neu aufgenommen werden.
Darüber hinaus fordern wir als Reaktion auf die bisher ergebnislos verlaufenen Ermittlungstätigkeiten der Berliner Behörden ein unabhängiges Gremium, das die bisherigen Ermittlungen kritisch überprüft und zwar insbesondere dahingehend, was unternommen wurde, um in Richtung eines rassistischen Motivs zu ermitteln.
Insgesamt fordern wir Konsequenzen aus den Erkenntnissen zum NSU-Komplex. Durch die unabhängigen Untersuchungen zu den NSU-Morden wurde ja unter anderem deutlich: Es gibt Rassismus innerhalb der deutschen Behörden, auf ganz grundsätzlicher, das heißt auf struktureller Ebene. Und daraus haben die Berliner Behörden bzgl des Mordes an Burak Bektaş bisher keine öffentlich wahrnehmbaren Konsequenzen gezogen. Das kritisieren und beklagen wir seit nunmehr fünf Jahren und es ist an der Zeit, dass sich das endlich ändert.
Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich würde mir wünschen, dass Herr Steltner, der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, heute, an Buraks 5. Todestag, von sich aus an die Öffentlichkeit treten würde, um darzulegen, warum die Ermittlungen bisher ergebnislos verlaufen sind und was alles unternommen wurde, um diesen Fall aufzuklären, insbesondere mit Blick auf ein möglicherweise rassistisches Motiv. Ich würde mir wünschen, dass Herr Steltner es aus freien Stücken tun würde, weil er fühlen würde, dass die von ihm vertretenen Behörden angesichts all dessen, was wir über den NSU-Komplex wissen, unter Rechtfertigungsdruck stehen oder zumindest, weil es genügend öffentlichen Druck gäbe, der ihn zu entsprechenden Stellungnahme zwingen würde. Stattdessen mussten wir aktuell in der Zeitung seine zynisch anmutende Antwort auf die Frage danach lesen, wie viele Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen sind und wie vielen nachgegangen wurde. Steltners Kommentar lautete: „hab ich nie gezählt“- ich denke, das spricht für sich. Ein solcher Kommentar schließt sich mit einer Anerkennung der Tatsache, welche Bedeutung die Ermittlungen für Angehörige und Hinterbliebene nach wie vor haben, schlicht aus. Er deutet vielmehr darauf hin, wie wenig ernst die Sorgen hinsichtlich unzureichender Ermittlungen genommen werden.
Bilanz unserer bisherigen Arbeit
An dieser Stelle ziehe ich jetzt noch eine kurze Bilanz unserer bisherigen Arbeit: Als Initiative haben wir in den vergangenen fünf Jahren über 40 Veranstaltungen organisiert, darunter Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Workshops sowie Gedenkveranstaltungen. Wir haben drei große Demonstrationen mit mehreren Hundert Teilnehmer*innen und insgesamt 25 Kundgebungen und Mahnwachen durchgeführt. Darüber hinaus haben wir Redebeiträge auf knapp 20 weiteren Demonstrationen gehalten. Wir haben zahlreiche eigene Artikel, Berichte, Pressemitteilungen und Aufrufe veröffentlicht und dokumentieren laufend die komplette Berichterstattung zum Fall. Unsere Ausstellung wurde bundesweit in unterschiedlichen Kontexten gezeigt und wir sind mit vielen Initiativen, die zu rassistisch motivierter Gewalt oder entsprechenden Verdachtsfällen arbeiten, eng vernetzt.
Auch wenn unser wichtigstes Ziel, die Aufklärung des Mordes, nach wie vor nicht erreicht ist, haben wir mit dieser Arbeit dazu beigetragen, dass zentrale andere Ziele erreicht werden konnten. Das Wichtigste ist sicherlich: Die Angehörigen von Burak stehen mit ihrer Forderung nach Aufklärung nicht alleine da – wir alle arbeiten mit der Unterstützung vieler anderer Initiativen und Einzelpersonen gemeinsam daran, dass der Fall aufgeklärt wird. Der Mord an Burak ist im Gegensatz zu vielen anderen unaufgeklärten Morden bisher in der Öffentlichkeit nicht in Vergessenheit geraten; zum Teil kam es durch entsprechenden Austausch im Rahmen unserer Veranstaltungen auch zu neuen Hinweisen. Die Frage nach einem möglichen rassistischen Tatmotiv wird in der Öffentlichkeit nach wie vor ernst genommen. Nicht zuletzt haben wir einen unabhängigen Gedenkort in unmittelbarer Nähe der Todesstelle erkämpft.
Gedenkort
Heute abend, am 5. Jahrestag des Mordes an Burak Bektaş, werden wir gemeinsam das Fundament für den Gedenkort legen. Der Gedenkort steht für all den Schmerz, die Trauer und die Wut, die Angehörige und Freunde seit dem Mord begleiten sowie für den nach wie vor andauernden Kampf um Aufklärung und Gewissheit. Der Gedenkort wird die Auseinandersetzung mit dem Mord nicht abschließen- ganz im Gegenteil: Der Gedenkort wird Raum geben für lebendige Erinnerung. Er soll ein Symbol dafür sein, dass wir Burak Bektaş nicht vergessen. Und er wird auch ein Symbol dafür sein, dass wir alle- die Initiative, die Anwälte und die Familie sowie alle Unterstützer und Unterstützerinnen- nach wie vor Aufklärung fordern und gemeinsam und solidarisch für diese Aufklärung kämpfen werden.
Wir fordern, dass die bisherigen Bemühungen von Politik, Staatsanwaltschaft und Polizei sich einer unabhängigen kritischen Überprüfung stellen müssen und dass die Ermittlungen insgesamt neu aufgerollt werden.
Wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen allen für Ihr Kommen und Ihr Interesse. Bevor wir Ihnen gleich noch für Fragen zur Verfügung stehen, nutze die Gelegenheit, um Sie ganz herzlich zur Grundsteinlegung heute abend einzuladen. Die Grundsteinlegung wird um 18.30 Uhr am Burak-Bektaş-Platz an der Rudower Straße/Ecke Möwenweg, unweit der Todesstelle, stattfinden. Abschließend möchte ich sagen, dass der Gedenkort nicht zuletzt auch ein Symbol dafür sein wird, dass wir entschieden sind, unsere Arbeit fortzusetzen, bis der Mord an Burak endlich aufgeklärt ist. Vielen Dank.