Archiv für den Monat: April 2015

Muzaffer Türkoglu ist am 19.04.2015 gestorben.

Muzaffer Türkoglu, Opfer des rassistischen Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 ist am vergangenen Sonntag gestorben und wurde heute vor der Neuköllner Sehitlik Moschee betrauert. Als „Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak“ sprechen wir seiner Familie und den Angehörigen unser Beileid aus.

Muzaffer war Berliner, zum Zeitpunkt des Bombenanschlags nur zu Besuch in Köln – er wollte seinem in der Türkei lebenden Bruder die Stadt zeigen.

Wie so viele andere wurde er vom Opfer zum Verdächtigen. Die Ermittlungen der Polizei gegen ihn setzten sofort nach dem Anschlag ein und zogen sich über Jahre bis zur Aufdeckung des NSU Ende 2011. Dieser „Anschlag nach dem Anschlag“ setzte Muzaffers psychisch und physisch stark zu.

Als am 20. Januar 2015 im NSU Prozess in München die Zeugenaussagen der Opfer aus der Keupstr. begannen, begleiteten Mitglieder unserer Initiative und andere Antirassist_innen Muzaffer im Reisebus nach München. Trotz Krankheit und hohen Alters war Muzaffer entschlossen den Angeklagten vor Gericht entgegenzutreten und auszusagen. Unermütlich stand er den ganzen Tag mit uns in der Kälte, gab Fernsehinterviews und demonstrierte vor dem Gericht für eine Aufklärung des NSU-Komplexes. Ein Schwächeanfall hinderte ihn am nächsten Tag an der Aussage.

Muzaffer ist gestorben ohne die Genugtuung, dass die rassistischen Täter des Keupstraßenanschlags verurteilt worden wären. Ohnehin waren seine Erwartungen vor allem anderen direkt an den Staat gerichtet. Vergeblich erwartete er, dass Mitglieder der Regierung die Verantwortung für die Beteiligung der Institutionen am NSU-Komplex übernehmen würden und sich dafür bei den Opfern entschuldigten.

Im Gedenken an Muzaffer Türkoglu und all den anderen Opfern des NSU fordern wir eine rückhaltlose Aufdeckung des NSU-Komplex – vor allem auch der staatlichen Verstrickung darin.

Muzaffer lebt weiter in unseren Erinnerungen und Kämpfen.

17.04.2015 Forum: „Gegen das Schweigen – Drei Jahre nach dem Mord an Burak und die Konsequenzen aus dem NSU“

Freitag, 17.04. – 18 Uhr im Jockel Biergarten, Ratiborstr. 14c, 10999 Berlin

Nur fünf Monate nach der Selbstenttarnung des NSU und seiner Täterschaft an neun rassistischen Morden schießt im Berliner Stadtteil Neukölln ein weißer Mann wortlos in eine Gruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Alex und Jamal werden lebensgefährlich verletzt und Burak stirbt noch am Tatort an seinen Verletzungen. Der nahe liegenden Annahme, dass es sich um ein rassistisches Motiv gehandelt haben könnte, wird von der Polizei entgegnet, dass es dafür „keinerlei Anhaltspunkte“ gäbe. Es werde „in alle Richtungen“ ermittelt. Ein Mantra, das sich bis heute wiederholt. Denn es gibt immer noch keine Spur zum Mörder.
Das leichtfertige Hinnehmen von Erklärungen der Ermittlungsbehörden im Fall der NSU-Morde …muss uns eine Lehre sein. Das daraus resultierte Schweigen und die Ignoranz gegenüber den Angehörigen der Opfer darf sich nicht wiederholen. Das waren die Gedanken, mit denen wir die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak gründeten. Seit nunmehr fast drei Jahren fordern wir gemeinsam mit den Angehörigen gezielte Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Motivs. Getan hat sich wenig.

In einem offenen Forum wollen wir mit geladenen Gästen und dem Publikum kritisch die Fragen diskutieren, die uns seit Beginn unserer Arbeit immer wieder umtreiben:
Was ist das Ziel unserer Arbeit? Wann können wir von Erfolg sprechen? Wären es eher konkrete Veränderungen – wie Ermittlungsergebnisse oder gar Veränderungen innerhalb des Polizeiapparates? Oder sind es vielmehr abstrakte Ziele – eine kritische Öffentlichkeit oder Solidarität mit den Angehörigen? Aber wie machen wir Öffentlichkeitsarbeit, wenn wir keine neuen Nachrichten haben? Warum ist das Interesse an diesem unaufgeklärten Mord auch nach dem NSU-Ermittlungsdesaster in linken, kritischen Zusammenhängen und selbst bei Migrant_innenorganisationen so gering?
Können wir mit öffentlichem Druck überhaupt Einfluss nehmen auf Ermittlungsbehörden? Welche Erfahrung haben Überlebende und Angehörige von Opfern rassistischer Gewalt mit Polizei und Öffentlichkeit gemacht? Was können wir daraus lernen? Und nicht zuletzt: Wie sieht die Zusammenarbeit mit Opfern und Angehörigen aus? Wie muss Solidarität gestaltet sein, damit sie praktisch werden kann?

Gäste: Mehmet Daimagüler und Ogün Parlayan (Anwälte der Familie Bektaş und NSU-Nebenklagevertreter), Mouctar Bah (Initiative in Gedenken an Oury Jalloh), Ayşe Güleç (Initiative 6. April, Kassel), Ibrahim Arslan (Überlebender des rassistischen Brandanschlags in Mölln 1992 und Aktivist, Hamburg), Canan Bayram (Abgeordnete der Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin)

Unsere Veranstaltung wird von der gefördert

Vorschau, Termin der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B. :
Mo. 04.05.2015 abends „Soli vom Faß“ im Möbel Olf (Reichenberger Str. 177, Kreuzberg)
Fr. 05.06.2015 nächste Kundgebung für die Aufklärung des Mordes an Burak B.

Brief an die Freunde eines syrisch-kurdischen Studenten in Leipzig, der angeschossen wurde und auf der Intensivstation liegt.

Die Union kurdischer Studierender in Syrien und Deutschland (UKSSD) hat in einer Pressemitteilung vom 12.04.2015 darüber informiert: Als ihr Freund abends in Leipzig eine Straße entlang ging, kamen ihm 3 weiße Menschen entgegen. Einer zog wortlos eine Pistole aus der Jackentasche und schoß aus 2 Meter Entfernung auf ihn. Die Metalkugel blieb in seinem Hals stecken. – Wir sind von der wortlosen Tat entsetzt und haben heute einen kurzen Solidaritätsbrief nach Leipzig geschickt:

Liebe Leute,

mit Bestürzung und Wut haben wir von dem Angriff auf euren syrischen Freund gehört. Wir möchten ihm auf diesem Wege alles Gute wünschen und ihm und euch unsere Solidarität ausdrücken. Wir unterstützen eure Forderung, verstärkt Rassismus als möglichem Tatmotiv bei den Ermittlungen nachzugehen.

Als „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ fordern wir seit etwa drei Jahren genau dies in einem immer noch ungeklärten Mordfall in Berlin-Neukölln. Nur sechs Monate nach Bekanntwerden des NSU schoss in der Nacht zum 5. April 2012 ein nach Zeugenaussage weißer Täter ohne Vorwarnung in eine Gruppe von fünf Freunden. Alle haben selbst einen oder kommen aus Familien mit sogenanntem Migrationshintergrund. Burak starb noch am Tatort, Alex und Jamal überlebten schwer verletzt. Der Täter verschwand spurlos und ist noch heute immer nicht gefasst.

Wir stehen in engem Austausch mit Buraks Familie. Auch wir fordern beständig die Polizei auf, verstärkt der Frage nachzugehen „Ist Rassismus wieder das Motiv?“ und in Richtung einer möglichen NSU-Nachahmetat zu ermitteln.

Hier findet ihr weitere Informationen über unsere Initiative:
https://burak.site36.net

Wir wünschen eurem Freund und euch viel Kraft und hoffen, dass der/die Täter schnell gefasst werden.

Viele Grüße,
Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.

Warum ziehen wir ein rassistisches Motiv in Betracht?

Redebeitrag der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B. bei der Kundgebung zum 3. Jahrestag des Mordes an Burak: Die Angst bleibt!

Seit dem Bestehen der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak fordern wir gezielte Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Motivs. Wir denken, dass es mehrere Anhaltspunkte gibt, die das rechtfertigen. Wir wollen uns diese hier und heute nochmal ins Gedächtnis rufen:

1) Die Tatkonstellation

Ein weißer Mann schießt in eine Gruppe Jugendlicher, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft als „migrantische Jugendliche“ wahrgenommen werden. Die Ermittlungsbehörden kommen zu dem Schluss, dass keine persönliche Beziehung zwischen Opfer und Täter vorlag. Es gab keinen Wortwechsel, keinen Streit, keine Auseinandersetzung. Burak wurde nicht gezielt erschossen, sondern der Täter schoss wahllos in die Gruppe Jugendlicher, die sich zum Teil gerade erst kennengelernt hatten.
In einer Gesellschaft wie der deutschen, die zutiefst rassistisch geprägt ist, in der jährlich hunderte Gewalttaten gegen vermeintliche Migrantinnen und Migranten, sowie Geflüchtete stattfinden, liegt unseres Erachtens ein rassistisches Motiv sehr nahe. Wesentlich näher als die These eines „verwirrten Einzeltäters“, der die Polizei in alle Richtungen ermitteln lässt.

2) Der Tathergang

Der Täter schießt wortlos und kaltblütig auf Burak und seine Freunde. Die Überlebenden beschreiben die Situation als eine Hinrichtung auf offener Straße. Dieses Vorgehen erinnert uns stark an neonazistische Terrorkonzepte. Darin werden rassistische Mordanschläge propagiert, die von bewaffneten Einzelkämpfern ohne Bekennerschreiben ausgeführt werden sollen. Durch die „Propaganda der Tat“ sollen diese für sich selbst sprechen und die Täter vor Strafverfolgung schützen. Es sind kaltblütig berechnete Morde eines rassistischen Terrors, dessen Dimensionen in Deutschland erst durch das Auffliegen des NSU ansatzweise deutlich werden.

Die Parallelen zu den Morden des NSU sind offensichtlich: Bis zum Auffliegen dieses Terrornetzwerks erschienen die Taten für die deutsche Mehrheitsgesellschaft mysteriös. Wie in Buraks Fall war eine Kaltblütigkeit zu beobachten. Die Opfer wurden praktisch hingerichtet, ohne dass es vorher eine Kommunikation zwischen Opfer und Täter gab.

3) Die Wirkung des Mordes

Rassistische Morde zielen in ihrer Wirkung vor allem in zwei Richtungen: Zum Einen Einschüchterung von migrantischen/ nicht-weißen Communities und zum Anderen Bestärkung einer neonazistischen Szene bzw. einer rassistischen Stimmung in der Gesellschaft. Dies können wir bei den Morden des NSU beobachten, die sowohl von den Betroffenen als auch innerhalb einer Neonazi-Szene als das verstanden wurden, was sie waren: kaltblütige rassistische Morde.

Die Erschießung Buraks wird nicht nur von der Familie, dem Freundeskreis und in der Nachbarschaft als eine große Bedrohung empfunden, sondern schafft eine breite Verunsicherung in von Rassismus betroffenen Communities. Der Mord wird als rassistischer Angriff erlebt, als eine rassistische Hinrichtung auf offener Straße. Gleichzeitig wird die Erschießung Buraks in der Neonazi-Szene begrüßt und auch dort als möglicher rassistischer Mordanschlag gelesen und verstanden.

4) Der Tatzeitpunkt

Es ist bekannt, dass sich rassistische Angriffe gerade an Daten häufen, die einen Bezug zur neonazistischen Bewegung und deren Geschichte haben. An solch einem Datum geschah auch der Mord an Burak: Auf den Tag genau zwanzig Jahre zuvor kam der Neonazi-Kader Gerhard Kaindl bei einer Auseinandersetzung mit Antifaschist_innen in Neukölln ums Leben. Kaindl gilt seitdem als Märtyrer in der Neonazi-Szene. Zum 04.04.2012 erschien ein längerer Artikel zu Kaindl in der Deutschen Stimme und bei der NPD Berlin der Artikel „Kaindl-Mord – 20 Jahre ungesühnt“, der auf vielen Homepages der militanten Kameradschaftsszene deutschlandweit übernommen wurde. Bereits zum 19. Todestag veröffentlichte die „Neue Ordnung“ einen Racheaufruf.

Wenige Tage vor dem Mord an Burak wurde der ehemalige Söldner Jörg Lange, ein rechtsextremer Kader dieser „Neuen Ordnung“ tot aufgefunden. Bei ihm wurde Munition gefunden, die keiner der beschlagnahmten Waffen zugeordnet werden konnte. Wegen „Bildung einer bewaffneten Gruppe“ wird gegen Neonazis aus dessen Umfeld ermittelt. Einen Zusammenhang zum Mord an Burak haben die Ermittlungsbehörden jedoch trotz unserer Hinweise bisher nicht geprüft.

5) Der Vorabend

Wir wissen, dass am Vorabend des Mordes an Burak mehrere bekannte Neonazis in Südneukölln unterwegs waren. In Gropiusstadt – wenige Straßen von der Mordstelle entfernt – fand an diesem Abend eine antifaschistische Diskussionsveranstaltung statt. Neonazis wurden dabei beobachtet wie sie die Gegend auskundschafteten. Mit dabei war der Neonazi-Aktivist Mike S. aus Johannisthal. Seine langjährige Freundin und Neonazi-Aktivistin Mandy P. wohnte zum Mordzeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Tatortes. Sie veröffentlichte auf ihrem Facebook-Profil ein Post, dass sie hoffe, dass den Ermittlungsbehörden keine Hinweise zum Täter geliefert werden.
Eine Strafanzeige unserer Initiative wurde eingestellt und in diese Richtung nicht weiter ermittelt.

6) Der Tatort

In der Umgebung sind regelmäßig Neonazis aktiv, Migrantinnen und Migranten werden beleidigt und bedroht. Es kommt immer wieder zu Anschlägen und Übergriffen durch Neonazis und anderen Rassist_innen. Erwähnt werden müssen in diesem Zusammenhang insbesondere die Brandanschläge auf das Kinder- und Jugendzentrum „Anton Schmaus Haus“ im Juni und November 2011 und die Anschläge mit Molotov-Cocktails auf die Einfamilienhäuser migrantischer Familien im März und April 2008.
Im Juni letzten Jahres wurde bei der Durchsuchung einer Wohnung eines 56-jährigen Mannes, der der „rechten Szene“ nahe stehen soll, scharfe Schusswaffen und dazugehörige Munition sichergestellt. Dies verdeutlicht das Bedrohungspotential, welches von Neonazis hier in der Umgebung ausgeht.

Die genannten Punkte und das Wissen um die weiter und weiter fortführbare Liste von Gewalt durch Neonazis, die vor Mord nicht zurückschrecken, schaffen ein Szenario in dem wir den Mordanschlag auf Burak und seine Freunde als Bedrohnung für alle begreifen, die nicht in das rassistische Weltbild der Neonazis passen.

Deshalb fordern wir gezielte und bundesweite Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Mordanschlags!

Pressemitteilung des TBB und Presseartikel

„Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) fordert gezielte Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş. Haben wir nach den NSU-Morden immer noch nichts dazugelernt? Am 5. April 2012 wurde Burak Bektaş auf offener Straße von einem Unbekannten kaltblütig ermordet, seine Freunde Alex und …“ zur Pressemitteilung des TBB vom 31.03.2015
Wir freuen uns, dass der TBB von den Ermittlern dasselbe fordert wie wir: Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Motives bzw. NSU-Nachahmungstäter, respektvoller Umgang mit den Angehörigen von Burak und transparente Ermittlungen.

dpa informiert am 03.04.2015 über unsere Kundgebung zum 3. Jahrestag des Mordes an Burak in Neukölln-Süd, Rudower Str. 51 am 5. April um 14 Uhr – die Welt, focus und berlin online.

Am 4. April 2015 ist ein längerer, ausführlicher Artikel in der Morgenpost und ein Artikel in der taz.